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„Hindenburg ist eine zutiefst antidemokratische Figur“

Interview mit Frau Prof. Barbara Stollberg-Rilinger zum DAMALS-Titelthema 08/2012: “Hindenburg – Der Mann, der Hitler zur Macht verhalf“

„Hindenburg ist eine zutiefst antidemokratische Figur“
Es gibt aktuellen Anlass, sich mit der Person Paul von Hindenburg auseinanderzusetzen. Das zeigt der Streit im westfälischen Münster: Dort hat der Stadtrat im März beschlossen, den bisherigen Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen. Eine Bürgerinitiative macht Front dagegen, nun sollen am 16. September die Bürger über den endgültigen Namen des Platzes abstimmen. DAMALS-Chefredakteur Stefan Bergmann sprach mit Prof. Barbara Stollberg-Rilinger über die Hintergründe der heftigen Debatte.

DAMALS: In Münster hat der Stadtrat im März beschlossen, den traditionellen Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen. Eine Bürgerinitiative will nun erzwingen, dass die Umbenennung zurückgenommen wird. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Stollberg-Rilinger: In Münster ist eine längere Debatte geführt worden, an deren vorläufigem Ende der Beschluss des Stadtrates zur Umbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz stand. Diejenigen, die mit dem Verweis auf eine gewisse Tradition, an der man nicht rühren solle, nun dafür kämpfen, den Beschluss rückgängig zu machen, haben ein Problem. Denn mit dem Ratsbeschluss der Umbenennung ist eine neue Situation eingetreten: Wer jetzt für den Namen Hindenburgplatz plädiert, muss aktiv begründen, welche positiven Werte er mit Hindenburg verbindet. Die Benennung ist jetzt ein symbolischer, geschichtspolitischer Akt, mit dem man eine Botschaft sendet.

DAMALS: Welche Argumente sprechen dafür, dass der Hindenburgplatz umbenannt wurde und den Namen Schlossplatz behält?

Stollberg-Rilinger: Es gibt einmal jüngere Erkenntnisse, wonach Hindenburg durchaus verantwortlich zu machen ist für die Kanzlerschaft Hitlers. Er war keineswegs senil oder unfähig, sein eigenes Handeln zu übersehen. Das hat beispielsweise Wolfram Pyta in seiner Hindenburg-Biographie beschrieben. Hindenburg ist zudem eine zutiefst antiparlamentarische und antidemokratische Figur, der nur unwillig die Regeln der demokratischen Verfassung zur Kenntnis genommen hat. So gratulierte er 1934 Hitler sogar nach dem sogenannten Röhm-Putsch, mit dem sich Hitler in Wirklichkeit durch Mord zahlreicher Gegner entledigte. Er zeigte großes Verständnis für diese Aktion, unter anderem mit dem Hinweis: „Ohne Blutvergießen geht es nicht“.

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DAMALS: Wie erklären Sie sich, dass es nach dem Stadtratsbeschluss eine solch heftige Reaktion aus Teilen der Bürgerschaft gibt?

Stollberg-Rilinger: Ich glaube, die Mehrzahl dieser Bürger bringt damit ihre Politikverdrossenheit zum Ausdruck. Sie fühlen sich durch politische Entscheidungen wie die Umbenennung überfahren, sind von einem diffusen Unmut gegen die Komplexität der heutigen Welt geprägt. Sie sehnen sich danach, in einer bestimmten Frage ein klares Ja oder Nein sagen zu können – das ist im Streit um den Hindenburgplatz leichter und direkter möglich, als zum Beispiel einen klaren Standpunkt für oder gegen den Euro-Rettungsschirm zu entwickeln. Insgesamt ist es eine durchaus konservative Bewegung, die im Randbereich auch rechte Tendenzen hat. Der Riss geht dabei quer durch die CDU, die auch den Bürgermeister stellt, der für den Schlossplatz wirbt. Von der Mitte nach links sind, soweit ich sehe, alle für den Schlossplatz, rechts von der Mitte für den Hindenburgplatz.

DAMALS: Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gab es immer wieder Diskussionen oder Einzel-Anträge, den Hindenburgplatz umzubenennen. Warum kam es erst im Jahre 2012 zu dem endgültigen politischen Vorstoß, dieses durchzusetzen?

Stollberg-Rilinger: Eine Historiker-Kommission, der untern anderem Prof. Hans-Ulrich Thamer hier vom Historischen Seminar angehörte, hat im Auftrag der Stadt die Straßen auf Namen historischer Persönlichkeiten untersucht, die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus als belastet gelten müssen. Die Kommission gab eine Reihe von Empfehlungen ab, darunter die zur Umbenennung des Hindenburgplatzes.

DAMALS: Die Geschichtswissenschaft befindet sich bei diesem Thema mitten in einer aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte, die je nach ihrem Ausgang konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat. Beweist damit auch eine geisteswissenschaftliche Disziplin ihren praktischen Nutzen, den man sonst eher bei den Naturwissenschaften vermutet?

Stollberg-Rilinger: Das ist nur entfernt miteinander vergleichbar. Historiker geben keine einfachen Handreichungen für die Politik. Sie stellen Wissen zur Verfügung, liefern aber nie fertige Wahrheiten. Lesen, daraus Schlüsse ziehen und handeln muss die Politik selbst.

DAMALS: Sehen Sie auch eine Gefahr darin, wenn Wissenschaftler in einer politischen Frage allzu eindeutig Partei ergreifen?

Stollberg-Rilinger: Geschichtspolitik im engeren Sinn, vielleicht sogar im Auftrag einer Regierung, das kann es nicht sein. Historiker stellen aus reflexiver Distanz eine Urteilsgrundlage zur Verfügung. Dabei ist wissenschaftliches Wissen natürlich nie die absolute Wahrheit. Ich selbst bin übrigens in dieser Frage als Bürgerin engagiert, nicht als Wissenschaftlerin. Aber meine historischen Kenntnisse haben mich zu meiner poltischen Haltung bewogen.

DAMALS: Falls der für den 16. September angesetzte Bürgerentscheid in Münster eine Mehrheit für die Rück-Umbenennung bringt – könnten Sie damit leben?

Stollberg-Rilinger: Es ist ein demokratisches Verfahren, ich muss das Ergebnis akzeptieren. Aber ich wäre von meinen Münsteraner Mitbürgern schon sehr enttäuscht.

Barbara Stollberg-Rilinger, Jahrgang 1955, lehrt Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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