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Kilometerweise Weltgeschichte

Das päpstliche Geheimarchiv im Vatikan

Kilometerweise Weltgeschichte
Weniger geheimnisvoll, als man nach der Lektüre von Dan Browns „Illuminati“ vermuten könnte, dafür umso mühsamer ist die Arbeit von Forschern im päpstlichen Geheimarchiv. Und doch liegt ein eigentümlicher Zauber über diesem ganz besonderen Ort.

Es gibt nicht viele Begriffe aus der Alltagsarbeit, mit deren Erwähnung ein Geisteswissenschaftler beim Smalltalk die Aufmerksamkeit seiner Umgebung fesseln kann. Der Hinweis, man sei kürzlich in Rom zu Recherchen im päpstlichen Geheimarchiv gewesen, wirkt immer. Die Gesprächspartner müssen nicht Dan Browns „Illuminati“ gelesen haben, um mit der Erwähnung des wohl sagenumwobensten aller Archive geheimnisvoll-gruslige Assoziationen an hermetisch verschlossene, finstere Verliese im Vatikan zu verbinden.

Weil aber jede Epoche Mythen in die ihr entsprechende Form kleidet, bedient sich das Böse in Dan Browns Bestseller überaus publikumswirksamer Phantasien avanciertester Technik, um allen Unbefugten den Zugang zu den unergründlichen Geheimnissen der katholischen Kirche zu verwehren: „Sie passierten vier Stahltüren und zwei weitere verschlossene Türen, dann stiegen sie eine Treppe hinunter und erreichten ein Foyer. Der Gardist tippte Kodes in die Tastenfelder, und sie gingen durch eine Reihe elektronischer Detektoren, bevor sie schließlich am Ende eines langen Korridors vor eine große Doppeltür aus Eiche gelangten. Der Schweizergardist blieb stehen, murmelte etwas Unverständ‧liches und öffnete eine in die Wand eingelassene Stahlklappe. Er tippte einen Kode auf die Tastatur dahinter, und an der Tür ertönte ein Summen.“

Sind all diese Sicherheitsschranken überwunden, dann kommt man beim Anblick des Archivs selbst erst recht nicht aus dem Staunen heraus. Dem Blick des Besuchers bieten sich geheimnisvolle Glascontainer dar, die selbstverständlich in „geisterhafter Dunkelheit liegen, kaum zu erkennen im Licht der schwachen Deckenlampen. Es waren Büchertresore, hermetisch gegen Feuchtigkeit und Wärme isoliert, luftdichte Kammern, die verhindern sollten, dass das alte Papier und Pergament weiter zerfiel.“ Und die Dokumente, die sich in diesen hochgerüsteten Büchertresoren befinden, sind natürlich von überlegenen masterminds thematisch so zusammengestellt, dass sich demjenigen, der einmal Zugang zu dem Archiv erlangt hat, die dunkelsten Geheim‧nisse des Papsttums gewissermaßen von selbst erschließen.

In der schnöden Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Zugang zum päpstlichen Geheimarchiv zu erlangen ist höchst simpel. Und die eigentliche, mühevolle Arbeit beginnt erst dann, wenn man drin ist. Möchte man die Dokumente des Archivs konsultieren – zum Beispiel, weil man an einem wissenschaftlichen Projekt arbeitet, das sich mit der Entstehungsgeschichte römischer Papst- und Kardinalsgrabmäler beschäftigt –, so genügt ein Schreiben, in dem man seine Forschungsinteressen erklärt. Das reicht man im Büro ein, in dem die Archivausweise ausgestellt werden; bei jüngeren Wissenschaftlern hilft das Empfehlungsschreiben eines Universitätsdozenten. Es folgt ein freundliches Gespräch mit dem zuständigen Archivar, der nicht etwa nach der Konfession fragt, sondern einem mit dem einen oder anderen Tipp zu helfen versucht. Nun kann der Forscher auf die Jagd nach histo‧rischen Quellen gehen. Und die ist leider sehr viel aufwendiger, freilich mitunter auch spannender, als Dan Browns Phantasien von einem bis in alle Einzelheiten durchleuchteten Bestand von Geheimbotschaften erwarten lassen. Denn das päpstliche Geheimarchiv enthält unendlich viel mehr Dokumente, als sich selbst von den fleißigsten Archivaren zusammenfassen ließen.

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Die Bestände des Archivio Segreto Vaticano reichen zurück bis in die Anfänge der Kirchengeschichte, also bis in die Spätantike. Freilich machen die aus dieser frühen Zeit stammenden Schriftstücke nur einen verschwindend kleinen Teil des Überlieferungsschatzes aus. Vieles ging über die Jahrhunderte verloren; schon weil es das Geheimarchiv in seiner heutigen Form, als zentrale Sammelstelle kurialer Dokumente, erst seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts gibt, als Paul V. (1605 –1621) seine Einrichtung dekretierte. Bereits zuvor hatten die Päpste wichtige Urkunden, Erlasse und Briefe aufbewahrt, nur eben: in verschiedenen Sammlungen und phasenweise auch an unterschiedlichen Orten. Erst 1610 erfolgte ihre Zusammenführung im Archivio Segreto, dem Geheimarchiv, das nördlich der Sixtinischen Kapelle in den ehemaligen Wohnräumen der Kardinalbibliothekare untergebracht wurde.

Der Begriff „geheim“ wurde damals auch zahllosen anderen Archiven zuteil, in denen das diplomatische Herrschaftswissen der europäischen Staaten gesammelt wurde. Zunächst stellte das päpstliche Archiv nur eine Unterabteilung der Vatikanischen Bibliothek dar. Erst 1630 trennte Papst Urban VIII. (1623–1644) die Institutionen und übertrug die Leitung des Archivs einem eigenen Präfekten…

Literatur: Hilmar Schmundt / Miloš Vec / Hildegard Westphal (Hrsg.), Mekkas der Moderne. Pilgerstätten der Wissensgesellschaft. Wien / Köln / Weimar 2010. Webseite des Vatikanischen Geheimarchivs: asv.vatican.va/home_de.htm.

Prof. Dr. Arne Karsten

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