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„Straßendreck im Seidenstrumpf“

Talleyrand und die Außenpolitik des revolutionären Frankreich

„Straßendreck im Seidenstrumpf“
Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord kann fast als Synonym der französischen Außenpolitik an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gelten. Er war ein Kopf der Revolution – aber auch maßgeblich beteiligt an der Restauration der Bourbonen 1814 – nicht umsonst erhielt er den Beinamen „die Sphinx“.

Im Oktober 1808 fand in Erfurt eine Unterredung zwischen dem Bevollmächtigten Napoleons, Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, seit 1806 Fürst von Benevent, und Zar Alexander I. statt. Die beiden Kaiser befanden sich seit Ende September in der thüringischen Stadt, in die auch die meisten deutschen Fürsten angereist waren, um über die Zukunft ihrer Beziehungen zu verhandeln. Dabei ging es unter anderem um die Ausweitung des russischen Einflusses im Ostseeraum und auf dem Balkan. Talleyrand war ein Jahr zuvor noch Napoleons Außenminister, dann aber wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Kaiser entlassen worden. Dennoch schickte er ihn als Gesandten nach Erfurt und beauftragte ihn sogar damit, bei Zar Alexander anzufragen, ob dieser ihm nicht eine Prinzessin aus seinem Hause zur Frau geben würde. Alexander lehnte diesen Wunsch rundweg ab, zumal auch sein französischer Gesprächspartner ihn mit nur wenig Überzeugung vertrat. Tallyerand tat aber noch ein Übriges: Er warnte den Zaren vor allzu großer Nachgiebigkeit gegenüber Napoleon. Dieser finde in Frankreich mit seiner Expansionspolitik keineswegs ungeteilte Zustimmung. „Der Rhein, die Alpen, die Pyrenäen, das sind die Eroberungen Frankreichs, alles übrige ist die Eroberung des Kaisers, an der Frankreich nichts gelegen ist.“

Hinter dieser Äußerung steckt das Dilemma der Außenpolitik des revolutionären wie des napoleonischen Frankreich, die Talleyrand über weite Strecken mit bestimmt hat: Gaben die Umwälzungen seit 1789 und der gewaltige Modernisierungsschub in Frankreich diesem das Recht auf eine Führungsrolle in der Welt, um alle Völker mit Freiheit und Wohlstand zu beglücken? Oder war es eher geboten, am bis 1792 gut eingespielten, friedenssichernden Gleichgewicht zwischen den europäischen Großmächten festzuhalten bzw. es gegebenenfalls auf eine – durch Gebietsverschiebungen infolge der letzten Kriege veränderte – neue Grundlage zu stellen?

Talleyrand (1754–1838) hat rund dreieinhalb Jahrzehnte französischer Außenpolitik aktiv begleitet. Aus einer der ältesten Adelsfamilien Frankreichs stammend, war er wegen einer durch einen Kindheitsunfall bedingten Behinderung nicht für das Waffenhandwerk, sondern für den geistlichen Stand bestimmt worden. Seit 1788 Bischof von Autun in der Bourgogne, war er 1789 Mitglied des ersten Standes (das heißt der Geistlichkeit) in der Generalständeversammlung und befürwortete dort durchgreifende Reformen. 1790 trat er für die Veränderungen im Kirchenwesen ein, die mit der sogenannten Zivilkonstitution des Klerus von der Nationalversammlung in Kraft gesetzt wurden. Als erster hoher Geistlicher leistete er den für die Priester nunmehr erforderlichen Verfassungseid. Allerdings wurde er aus diesem Grund vom Papst mit dem Bann belegt. Er legte daher im Januar 1791 sein Amt nieder und kehrte dem geistlichen Stand den Rücken. In London arbeitete er fortan in der französischen Gesandtschaft und bemühte sich darum, die Briten aus dem im Frühjahr 1792 ausgebrochenen Krieg Frankreichs mit Österreich und Preußen herauszuhalten. Nach dem Sturz des französischen Königtums im August wurde er in Paris als Anhänger Ludwigs XVI. angeschwärzt. In London legte man ihm Verbindungen zur frankreichfreundlichen Opposition zur Last. Nach dem Kriegsausbruch zwischen Großbritannien und der Französischen Republik Anfang Februar 1793 wurde er des Landes verwiesen. Da ihm in Frankreich der Boden zu heiß war, schiffte er sich im Februar 1794 in die USA ein. Erst 1796 – inzwischen war in Frankreich das Direktorialrégime etabliert worden – konnte er in seine Heimat zurückkehren. Nachdem er sich auf einer diplomatischen Mission nach Berlin zur Festigung der preußisch-französischen Beziehungen bewährt hatte, wurde er auf Betreiben des damals mächtigsten Mannes im Direktorium, Paul Barras (der auch dem jungen Napoleon Bonaparte seine Förderung angedeihen ließ), im Juli 1797 zum Außenminister ernannt. Dieses Amt mußte er im Juli 1799 kurzfristig aufgeben, weil man ihm unsaubere finanzielle Machenschaften vorwarf. Da er sich aber mit Bonaparte verbunden hatte, erlangte er es nach dessen Staatsstreich im November wieder und behielt es bis 1807. Den Sturz Napoleons überstand Talleyrand unbeschadet; an der Restauration der Bourbonen im Frühjahr 1814 war er sogar maßgeblich beteiligt. 1814/15 vertrat er sein Land auf dem Wiener Kongreß. Nach der Julirevolution von 1830 ging er schließlich für fünf Jahre als Botschafter des französischen Königs nach London, wo er den Wechsel der Monarchie von den Bourbonen zum Haus Orléans diplomatisch absicherte…

Prof. Dr. Michael Erbe

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