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Das Werk Gottes

Die Schlacht von Azincourt

Das Werk Gottes
Die schweren französischen Reiter waren in der Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415 dem vernichtenden Dauerbeschuss von 5 000 englischen Bogenschützen ausgesetzt. Am Ende wurde Azincourt zu einer der größten Niederlagen der französischen Geschichte.

Noch bleibt genügend Zeit: Der Buchungsschluss, um sich für die Azincourt-Gedenkfeier registrieren zu lassen, fällt 2012 auf den 1. Juli. Wer das Formular der „Agincourt Alliance“ bis dahin ausgefüllt hat, ist als zahlender Teilnehmer dabei. Um eine familientaugliche Zeitreise ins Mittelalter zu ermöglichen, wurde der Termin in den Hochsommer verlegt – 1415 fand die Schlacht von Azincourt unter widrigen Wetterbedingungen am 25. Oktober statt.

Was macht das alljährliche Massenspektakel so attraktiv? Manche Gründe gelten auch für andere Histotainment-Veranstaltungen: dass man temporär aus einer als kompliziert empfundenen Gegenwart in eine komplexitätsreduzierte, fremdartige Vormoderne aussteigen kann. Hinzu kommt bei der Azincourt-Memorialkultur, dass der große zeitliche Abstand einen entspannten Umgang mit dem heiklen Thema kriegerischer Gewalt ermöglicht. Verbreitete Stereotype über den mittelalterlichen Krieg haben zu dessen Romantisierung, Ästhetisierung und Verharmlosung beigetragen, und das reenactment bekräftigt diese falschen Bilder. Denn im Unterschied zur Realität des mittelalterlichen Krieges wird in der Rekonstruktion niemand getötet, verstümmelt oder vergewaltigt, und sollte ein Kämpfer doch verletzt werden, ist das Rote Kreuz rasch zur Stelle. Der Authentizitätsanspruch wird damit natürlich konterkariert; das Eigentliche der Schlacht, das Töten und das Getötet-Werden, bleibt ausgeklammert.

Dass vor allem Engländer ein Faible für die reenactments zeigen, hängt mit Besonderheiten dieser Schlacht zusammen. Zum einen steht man prinzipiell lieber auf der Seite der Sieger; zudem ist Azincourt besonders geeignet, das englische Selbstbild der brave and happy few, der band of brothers (so William Shakespeare um 1599 in „Henry V“) zu bestätigen, denen es immer wieder gelingt, über Feinde zu obsiegen, wenn nur die Moral stimmt. Mit dieser Botschaft wurde Azincourt vor allem seit dem 16. Jahrhundert versehen. Eine nicht abreißende Flut von Fachpublikationen, filmischen Umsetzungen usw. hat dafür gesorgt, dass die Schlacht im kulturellen Gedächtnis der Engländer verankert geblieben ist.

Die Chancen, zu erfahren, wie es „wirklich“ gewesen sei, scheinen gut. Wie kaum eine andere mittelalterliche Schlacht hat sie schon bei den Zeitgenossen einen starken Widerhall gefunden. Beschränkt man sich nur auf die chronikalischen Quellen, sind allein für England zehn, für Frankreich sogar 14 Berichte überliefert. Ein einheitliches Bild ergibt sich damit aber nicht, vielmehr streiten Fachleute bis heute etwa über die Truppenstärken. Ausgerechnet die englische Historikerin Anne Curry, eine der profundesten Kennerinnen der Schlacht, geht in ihrer jüngsten Darstellung davon aus, beide Parteien seien annähernd gleich stark gewesen; sie rechnet mit 12 000 Mann auf der französischen Seite, denen 9000 Engländer gegenüberstanden. Dem Mythos von der großen zahlenmäßigen Unterlegenheit der Engländer macht sie damit den Garaus.

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Anders der amerikanische Militärhistoriker Clifford Rogers: Er spricht von 25 000 Franzosen und 6 000 Engländern. Vor allem bei der Zahl der schwergewappneten und vollgerüsteten adligen Kriegerelite, den gens d’armes, hält er an der etablierten Überzeugung fest: 1000 auf englischer Seite kämpfende gens d’armes hätten einer zehnfachen Überzahl schwergerüsteter Franzosen gegenübergestanden. Die Wahrheit wird man wohl nie ermitteln können: Für Schlachtenberichte ist typisch, dass zeitgenössische Quellen darüber nach der persönlichen Perspektive der Beteiligten berichten; eine Vielzahl einander widersprechender Quellen macht eine genaue Rekonstruktion fast unmöglich.

Ungeachtet aller Schwierigkeiten haben sich viele Historiker an die Rekonstruktion der Schlacht von Azincourt gemacht, und es lassen sich doch einige Aussagen machen, die in der Forschung unumstritten sind. So ist man sich einig, dass die topographischen Verhältnisse des damaligen Schlachtfelds bis heute weitgehend unverändert geblieben sind. Es handelt sich um ein von Hecken und Wäldchen begrenztes, leicht hügeliges Ackerland. 1415 hatte es sich durch das übliche Umpflügen im Herbst und langandauernde Regenfälle in ein für einen Kavallerieangriff ausgesprochen schweres Terrain verwandelt.

Das englische Expeditionskorps unter dem Kommando König Heinrichs V. war im August in der Normandie gelandet. Länger und verlustreicher als erwartet hatte sich die Eroberung der Hafenstadt Harfleur (beim heutigen Le Havre) hingezogen. Den ursprünglichen Plan, nach Paris zu ziehen, musste Heinrich aufgeben; stattdessen wollte er sich mit den verbliebenen Truppen nach Norden ins englisch besetzte Calais durchschlagen. Da die Franzosen auf dem rechten Ufer der Somme folgten und die Brücken beschädigt oder zerstört waren, mussten die Engländer weit nach Osten schwenken, um den Fluss zu überqueren. Dies glückte am 19. Oktober, vielleicht südlich von Péronne. Nach ihren tagelangen Rückzugsmärschen und angesichts einer sich verschlechternden Versorgungslage waren die Truppen sicherlich in keiner guten Verfassung.

Am Abend des 24. Oktober stießen die Heere unweit der heute noch existierenden Dörfer Azincourt, Tramecourt und Maisoncelle aufeinander. Da die Dunkelzeit in dieser Jahreszeit sehr früh einsetzt, kam es zu keinen Kampfhandlungen mehr. Herolde der Franzosen hatten die Engländer schon tags zuvor informiert, dass man entschlossen sei, jeden Durchbruchsversuch der englischen Truppen zu verhindern; Heinrich V. hatte sich seinerseits bereit erklärt, eine Entscheidungsschlacht anzunehmen. Angeblich feierten die Franzosen in sicherer Erwartung ihres Sieges ausgelassen, während die Engländer fasteten und beichteten – eine in der zeitgenössischen Chronistik weitverbreitete Stilisierung, deren narrative Funktion darin bestand, Sieg und Niederlage heilsgeschichtlich zu erklären: Den frommen Engländern habe Gott zu Recht den Sieg geschenkt, während er die gottvergessenen Franzosen züchtigen wollte….

Literatur: Anne Curry, The Battle of Agincourt. Sources and Interpretations. Suffolk 2000. Anne Curry, Agincourt. A New History. Stroud 2005. John Keegan, Das Antlitz des Krieges. Düsseldorf / Wien 1978. Hans-Henning Kortüm, Kriege und Krieger. 500  – 1500. Stuttgart 2010. Matthew Strickland / Robert Hardy, The Great Warbow. From Hastings to the Mary Rose. London 2005.

Prof. Dr. Hans-Henning Kortüm

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