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Die preußische Madonna

Kult und Mythos um Königin Luise

Die preußische Madonna
In den Befreiungskriegen gegen Napoleon, im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und noch von Joseph Goebbels in den letzten Tagen des „Dritten Reichs“ wurde Königin Luise als Vorbild beschworen. Eine scheinbar makellose Heilige, die man in das eigene politische Konzept hineinpresste.

Seit ihrer Ankunft in Berlin 1793 genoss Luise enorme Popularität; bei Staatsbanketten wurde die schöne Mecklenburgerin mitunter so durchdringend angestarrt, dass ihr der Appetit verging. Die allerneueste „griechische Mode“ trug ihren Teil dazu bei: weit ausgeschnittene, hauchdünne Gewänder, über die schon mancher Zeitgenosse die Nase rümpfte: „Ich kann nicht begreifen, wie der König seiner koketten Frau erlauben kann, sich so anzuziehen“, schrieb etwa die Gräfin Brühl. Deutlichere Worte fand 1929 Marie von Bunsen in Erinnerung an die Wilhelminische Ära: „So hüllenlos wie Königin Luise, das hätten in meiner Zeit nur Kokotten getan.“

Luises ungekünstelte Volksnähe und ihre „Liebesheirat“ brachten ihr viel Sympathie ein, vor allem beim Bürgertum. Wie anders hatte dagegen das Leben am Hof ihres Schwiegervaters Friedrich Wilhelm II., dem „dicken Lüderjahn“, ausgesehen: „Ganz Potsdam war wie ein Bordell“, erinnerte sich der Bildhauer Schadow. Die junge Königin besaß darum von Anfang an politische Bedeutung. Luise wurde zum Inbegriff der „neuen Frau“, der guten Mutter, was sie als Mittlerin zwischen Bürgertum und Krone stärkte. Jede Frau solle ihr Bild im Zimmer haben, begeisterte sich der Dichter Novalis. Und so war es vor allem die Lebensweise, die das Königspaar zur politischen Führung legitimierte – ein solches Paar konnte kein Gegner im Kampf um Freiheit und politische Rechte sein, sondern stand für eine gemeinsame, bürgerliche Zukunft.

Vergessen wurde, dass die Langschläferin Luise zur Verschwendung neigte und der immer zögerliche Friedrich Wilhelm nur den Bürger mimte, weil ihm seine Königswürde eine Bürde war. „Sie ist keine edle Frau“, schrieb der Freiherr vom Stein, der sie oberflächlich und gefallsüchtig fand, während der spätere Generalfeldmarschall Gneisenau sie auch als Mutter „nicht achtungswürdig“ nannte: „Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zugewandt“. Doch das Bild der idealen Königin sollte dies nicht trüben. Ihre Kinder dankten ihr die zwanglose Erziehung mit inniger Liebe, und während Frankreich unter den Nachwehen der Revolution zu leiden hatte, verkörperte Luise die Hoffnung auf Erneuerung der Monarchie auf nicht-revolutionärem Wege.

Luise wurde umso wichtiger, als sich nach 1806 der Wunsch nach einer moralischen Instanz immer mehr auf sie konzentrierte. Denn die Niederlage gegen Napoleon hatte viele Probleme offengelegt: die veraltete Organisation des Militärs, die geringe Bindung des Volkes an den Staat, die schwerfällige Kabinettsregierung und die Unfähigkeit des Königs. Während dieser gar die Abdankung erwog, sah man seine Gattin „einen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln“, so Heinrich von Kleist.

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Luises Hoffnung lag auf den Staatsreformern Stein und Hardenberg, die das Fundament für das moderne Preußen legten. Hardenbergs Berufung zum Staatskanzler 1810 war nicht zuletzt Luises Werk (siehe Seite 28). Zahlreiche Neuerungen wie die allgemeine Wehrpflicht und die Gewerbefreiheit, die Judenemanzipation, die Bauernbefreiung und die Städteordnung sollten die Identifikation der Bevölkerung mit dem Staat verbessern. Hatte nicht das revolutionäre Frankreich gezeigt, welche Kräfte eine von Verfassung und Zivilgesetzbuch geschützte Nation besaß – und zugleich in Preußen ein neues Gemeinschaftsgefühl im Kampf gegen die Besatzer erzeugt?

Auch in Deutschland – nach wie vor in zahlreiche Kleinstaaten zerstückelt – hatten viele Intellektuelle fasziniert die Vorgänge in Frankreich beobachtet. Daher musste es nun in Preußen darum gehen, die Errungenschaften der Revolution umzusetzen, ohne den absoluten Machtanspruch der Hohenzollern anzutasten. „Nation“ und „Vaterland“ waren derweil Losungsworte der Besatzungszeit geworden. Der moderne deutsche Nationalismus entstand, aufgeklärt und idealistisch auf der einen Seite, hasserfüllt und aggressiv auf der anderen, in allem jedoch ein Appell an Deutschlands Bürger, ihr politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Hatte Hegel 1802 noch die „politische Nullität“ des bürgerlichen Standes gerügt, so gründeten Bürger nun soziale Stiftungen, von denen einige Luises Namen trugen, dar-unter 1807 das „Luisenstift zur Er‧ziehung verwahr‧loster Knaben“.

In den Geschichtsbüchern heißt diese Zeit oft die „Geburt der deutschen Na‧tion“. Es ist eine Zeit, die das Bild des Staatsbürgers bis heute prägt. Und es ist die Zeit, in der die Königin von Preußen plötzlich stirbt. Der 19. Juli 1810 war für Preußen ein Schock, wie ihn das Land selten zuvor erlebt hatte. Am Tiefpunkt der Staatsmisere stirbt die einzige Lichtgestalt, erst kurz zuvor aus dem Exil zurückgekehrt. „Sie ist mein Alles!“, hatte ihr Mann nur Stunden zuvor geschrieben. „Wenn wir nur beisammen bleiben, dann ergehe über uns was Gottes Wille ist. Amen! Amen! Amen!“ Als ihn die Ärzte drängten, ihr die Nachricht von der Unausweichlichkeit des nahen Todes beizubringen, und er darüber die Fassung verlor, war sie es, die ihn stützte. Es könne nicht Gottes Wille sein, dass sie von ihm gehe, sagte Friedrich Wilhelm zu ihr am Sterbebett, da doch nur sie sein Freund auf Erden sei. „Und Hardenberg“, fiel Luise ihm ins Wort. Sie dachte an den Staat noch in den letzten Stunden ihres Lebens…

Literatur: Philipp Demandt, Luisenkult. Die Unsterblichkeit der Königin von Preußen. Köln 2003.

Dr. Philipp Demandt

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