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1977 – RAF gegen Bundesrepublik

Peters, Butz

1977 – RAF gegen Bundesrepublik

Der bedeutendste Satz, der Christian Klar in seiner Politisierungsphase prägte, war der Ausspruch Sartres, der Vietnamkrieg habe „den Bereich des Möglichen erweitert“. Im Jahr 1977, zwei Jahre, nachdem der Vietnamkrieg beendet war, hatten Klar und seine Mitstreiter der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) „den Bereich des Möglichen“ in Deutschland um ein kaum vorstellbares Maß erweitert. Im Frühjahr und Sommer 1977 wurden der Generalbundesanwalt Siegfried Buback und der Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto ermordet, im Herbst dann eine Lufthansa-Maschine und Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer entführt. Die Lufthansa-Maschine konnte befreit, der Tod von Schleyer jedoch nicht verhindert werden. 1977 bezeichnet ein Jahr im Ausnahmezustand.

Warum darüber jedoch noch ein fast 600-seitiges Buch veröffentlichen? Ist zu Entstehung, Ablauf und Wirkung der Roten Armee Fraktion und speziell des Jahres 1977 nicht längst alles geschildert und formuliert worden? Neben dem Offensichtlichen, dass sich die Ereignisse zum 40. Mal jähren, verweist Peters in seinem Vorwort auf die nun abgeschlossenen juristischen Ermittlungsverfahren und eine relativ klare Erkenntnislage.

Wie, wann und weshalb die RAF im Jahr 1977 dem Staat mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln entgegentrat, um das politische System zu bekämpfen und zum Einsturz zu bringen, wird in der Darstellung Peters deutlich. Der Inhalt des Buches ist in sieben Abschnitte gegliedert, denen ein einleitendes Vorwort des Autors vorausgeht. Peters ordnet den Aufbau zusätzlich nach den vier Jahreszeiten an, was deutlich macht, dass der „Deutsche Herbst“ nur der Höhepunkt eines „Deutschen Jahres“ war, welches bereits mit den Osterfeiertagen 1977 und dem Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback eingeläutet wurde. Wie Peters im Abschnitt „Wüstencamp“ darlegt, begannen die Ereignisse des Jahres 1977 genau genommen bereits Anfang 1976, als die 2. Generation der RAF in Aden im Südjemen die „Offensive 77“ zu planen und erproben begann, die das alleinige Ziel hatte, die in Stammheim inhaftierte 1. Generation der RAF zu befreien – mit allen Mitteln und ohne jegliche Skrupel.

Peters stellt neben den chronologischen und detailreichen Erzählungen der Geschehnisse immer wieder einzelne Mitglieder der Roten Armee Fraktion vor, um die zeitgenössischen politischen und sozialen sowie generationellen Konflikte darzulegen. Ob im Schwarzwald oder an der Nordseeküste geboren, wurden die Ereignisse ab 1967 für eine ganze Generation prägend und ließen Teile von ihr den Weg in den Untergrund und die politische Radikalität antreten. Oft war dem Konflikt mit dem Staat ein innerfamiliärer Konflikt mit den Eltern, meist dem Vater, vorausgegangen, wie Peters beispielsweise bei Christian Klar und Peter-Jürgen Boock darlegt.

Der gelernte Jurist Peters schildert, wie unvorbereitet und überrascht sich der Staat zunächst über die Wucht und Härte der Angriffe zeigte. Mit Bundesanwalt Buback richteten die Linksterroristen in der Operation „Margarine“ ihren obersten Verfolger und einen der höchsten Repräsentanten des Staates hin. Leider ist bis heute unbekannt, wer die tödlichen Schüsse auf den Staatsbeamten abfeuerte. Auch die Hinrichtung Schleyers nach dem Scheitern der Befreiungsaktion veranschaulicht die Militanz und kühle Vorgehensweise, die den Staat in seinen Grundfesten erschüttern sollte. Der Konflikt war, wie der Autor in seinem Fazit darlegt, daher nicht nur ein militärischer, physischer, sondern auch ein moralischer: Wer behält in der Auseinandersetzung seinen Wertekompass? Wer knickt eher ein?

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Die RAF versuchte mit Angriffen auf hohe Staatsbeamte und Politiker, Symbolfiguren des ihnen verhassten Systems, im linken Milieu Anklang zu finden. Gerade Schleyer war in den Augen der Linksterroristen als „Doppelpräsident“ (Peters) in seiner Funktion als Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) von herausragender symbolischer Bedeutung. Allerdings war man mit der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ von dieser Strategie abgerückt, was zu Entsolidarisierungstendenzen innerhalb des linken Spektrums führte. Auch die RAF erkannte dies rückwirkend und resümierte, dass man die entführten Zivilisten „in die gleiche Objektsituation gedrückt hat, wie es der imperialistische Staat sowieso und immer mit den Menschen macht“. So isolierte sich die 2. Generation der RAF mit ihren Aktionen im Laufe des Jahres 1977 innerhalb der linken Szene. Die RAF selbst befand, dass sich die Offensive von 1977 zu ihrer „härtesten Niederlage“ entwickelt habe. Den Weg dorthin schildert Peters in seinem Buch mit Prägnanz und Detailreichtum.

Rezension: Darius Muschiol

Peters, Butz
1977 – RAF gegen Bundesrepublik
Droemer Verlag, München 2017, 575 Seiten, Buchpreis € 26,99
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