Ein verbreitetes Missverständnis: Globalisierung bedeute Uniformierung, Verlust eines angestammten Eigenen. Tatsächlich aber entsteht durch Verschmelzungsprozesse meist eine Vielzahl ganz eigentümlicher Ausprägungen von Formen und Identitäten, „Lokalisierungen“, wie es Johann Gustav Droysen mit Blick auf den Hellenismus auf den Begriff brachte.
Davon handelt die Geschichte der Stadt Palmyra, wie sie Michael Sommer auf der Basis langjähriger eigener Forschung souverän und anschaulich entfaltet. Über seinen instruktiven Wert hinaus hat dieses Stück antiker Verflechtungsgeschichte aber auch tragische Aktualität gewonnen, weil kostbare Überreste der Oasenstadt in der syrischen Wüste im Sommer 2015 dem berechnenden Vernichtungsfuror des sogenannten Islamischen Staats zum Opfer fielen und der greise frü‧here Chef der Altertümerverwaltung vor dem örtlichen Museum, dessen langjähriger Leiter er war, enthauptet wurde.
Sommer spannt die Geschichte des Handelszentrums in der Oase Tadmur in einen Rahmen aus Oppositionen: Okzidentalismus und Orientalismus, Nomaden und Stadtbewohner, stoffbezogene versus theoriegeleitete Forschung. Seine historische Chance verdankte der Ort Palmyra seiner geographischen Lage, die ihm eine Schlüsselstellung im kontinentalen Fernhandel zwischen der Mittelmeerwelt und Indien verschaffte. Vergleichsweise spät erst entstand eine Stadt und entwickelten die tonangebenden Scheichs Techniken und Ausdrucksformen, die es ihnen erlaubten, Anschluss an die römische Welt zu finden, ohne ihre gewachsenen Strukturen aufgeben zu müssen.
Zwar bedienten sie sich für die Bauten, Inschriften und politischen Institutionen der hellenistisch-römischen Formensprache, ohne jedoch wie die Eliten vieler anderer Regionen zu städtischen Honoratioren zu werden. Kern ihrer Existenz wie ihres ökonomischen und politischen Erfolgs blieben „die nomadische Vergangenheit und die tribale Zugehörigkeit der meisten Oasenbewohner“.
Entscheidend war die Fähigkeit der Palmyrener, auf der Basis stammesgesellschaftlicher Strukturen ein weiträumiges Sicherheits- und Vertrauensnetzwerk aufzubauen, das in den Wechselfällen der imperialen Machtverhältnisse stabil blieb – auch zu Zeiten, als die Römer, zwischen direkter und indirekter Herrschaft experimentierend, den Osten ihres Reiches zu stabilisieren suchten oder mit ihren östlichen Rivalen, zunächst den Parthern, dann den Sassaniden, konfrontiert waren. Palmyras Potential zeigte sich, als die Stadt für gut ein Jahrzehnt zur „Supernova“ wurde und unter Odainat sowie seiner Ehefrau und Nachfolgerin Zenobia zwischen 260 und 272 quasi die Rolle des Imperium Romanum übernahm, das im Osten zeitweise handlungsunfähig war.
Oberflächlich betrachtet, könnte man Sommers „Palmyra“ für ein modisches Buch halten, eine Ermutigung für eine durch Migration und Multikulturalismus verunsicherte Gegenwart. Als monumentalisches Beispiel der „Willkommenskultur“ taugt diese so voraussetzungs- und windungsreiche Geschichte indes ganz und gar nicht. Wohl aber als eindrucksvolles Beispiel, wie eine moderne Altertumswissenschaft denkt und deutet.
Rezension: Prof. Dr. Uwe Walter