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Polens Wilder Westen – Erzwungene Migration und die kulturelle Aneignung des Oderraums 1945 –1948

Halicka, Beata

Polens Wilder Westen – Erzwungene Migration und die kulturelle Aneignung des Oderraums 1945 –1948

Als Ergebnis der NS-Herrschaft und der Machtverhältnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Polen 1945 westwärts verschoben. Für die multiethnischen Gebiete im Osten, die es an die Sowjet‧union abtreten musste, wurde es im Westen zu Lasten des Deutschen Reichs mit den nahezu homogenen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße entschädigt. Die Verschiebung von Territorien und Grenzen ging mit der gewaltsamen Verschiebung von Millionen Menschen einher. Die nach Evakuierung und Flucht in Niederschlesien, Ostbrandenburg und Pommern verbliebene deutsche Bevölkerung wurde ausgewiesen, umgesiedelt, vertrieben. An ihrer Stelle wurden Umsiedler aus den von Polen abgetretenen Gebieten und aus Innerpolen, Juden, Ukrainer, Weißrussen, Litauer und Griechen angesiedelt.

Die neuen Territorien galten zunächst als Polens „Wilder Westen“, dessen Anziehungskraft vom Versprechen und der Erwartung unbegrenzter Möglichkeiten des Neuanfangs und der Besitznahme genährt wurde – allerdings unter den Bedingungen fehlender Staatlichkeit, die der Herrschaft des Stärkeren buchstäblich Tür und Tor für Eigentumsaneignung öffnete. Mit dem einsetzenden Aufbau des polnischen Staates wurden die neuen Territorien zu den angeblich wiedergewonnenen Gebieten erklärt. Mit einem bevölkerungspolitischen Experiment sondergleichen sollte der Anspruch auf die Gebiete untermauert und abgesichert werden.

Was geschieht in und mit einem Raum, dessen Bevölkerung innerhalb von drei Jahren fast vollständig ausgetauscht wird? Das ist die zentrale Frage des Buchs von Beata Halicka, das auf eine Habilitationsschrift zurückgeht, wie Ansatz, Struktur und Sprache zeigen. Der Forschungsstand ist für Teile des untersuchten Raums gut (siehe etwa die Publikationen von Andreas Hofmann, „Die Nachkriegszeit in Schlesien“. Köln 2000, und Gregor Thum, „Die fremde Stadt Breslau 1945“. Berlin 2003). Vor diesem Hintergrund spürt das Buch minutiös den kulturellen Aneignungsprozessen des Raums durch die neuen Bewohner nach.

Die Grundlage bilden neben Akten vorwiegend quellenkritisch unterschiedlich einzuschätzende Selbstzeugnisse – deutsche autobiographische Zeugnisse vor allem der 1940er und 1950er Jahre, die vom Abschied, Weggehen, Enteignetwerden und Verlust erzählen, sowie polnische Memoiren vor allem der späten 1950er Jahre, die das Ankommen, die Inbesitznahme und das Erfahren und Annehmen des zunächst fremden Raumes schildern.

Auch wenn das untersuchte Zeitfenster weit, manchmal zu weit und ausladend, insbesondere in die Entwicklung vor 1945, aber auch nach 1948 geöffnet wird, vermag die Studie doch nur die Voraussetzungen für die Prozesse von Integra‧tion, Akkulturation und Assimilation der zusammen‧gewürfelten Neusiedler offenzulegen. Denn wie jede kulturelle Aneignung erfolgte auch die des Oderraums eigentlich erst nach 1948 im Rahmen eines langen, auch der politischen Großwetterlage der Nachkriegszeit geschuldeten mäandrierenden Prozesses, der bis in die Gegenwart reicht.

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Eingebettet in die Geschichte der europäischen Zwangsmigrationen des 20. Jahrhunderts, lenkt die die polnische und deutsche Forschung zur Thematik verbindende Studie die Aufmerksamkeit auf eine Region, die viele Menschen als Heimat verloren und viele als neue Heimat angenommen haben – mittlerweile einschließlich des reichen kulturellen historischen Erbes der deutschen Vorgänger.

Rezension: Dr. Mathias Beer

Halicka, Beata
Polens Wilder Westen – Erzwungene Migration und die kulturelle Aneignung des Oderraums 1945 –1948
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2013, 393 Seiten, Buchpreis € 29,90
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