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Jäckel, Dirk – Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter

Der Herrscher als Löwe

Jäckel, Dirk – Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter

Denken wir heute an einen Löwen, dann fällt uns meist zuerst die afrikanische Raubkatze ein, die wir aus sielmannschen Tierfilmen kennen oder im Zoo hinter Gittern bewundern können. Nur im Hintergrund unserer Gedanken schwingt etwas von der Symbolik mit, die den Löwen umgibt: Der „König der Tiere“ ist Sinnbild für Macht und Stärke, für Würde und Stolz. Im europäischen Mittelalter stand die Symbolik dagegen im Vordergrund, denn kaum ein Europäer hatte die Raubkatze je leibhaftig gesehen. Präsent waren Löwen aber als Herrschaftssymbole: In Buchmalereien erschienen sie Seite an Seite mit den Herrschern selbst; sie wurden auf Münzen geprägt und auf Krönungsmäntel gestickt; als Plastiken bewachten sie die Grabmäler der Könige und Fürsten oder flankierten den „Löwenthron“ des Herrschers. Auch als Beiname ist uns der Löwe geläufig: König Richard Löwenherz (1189–1199) und der Welfe Heinrich der Löwe (Herzog 1142–1180) waren die wohl berühmtesten Träger eines derartigen Namens.

Der Hagener Historiker Dirk Jäckel untersucht in seiner Dissertation die symbolische Bedeutung des Löwen für die Herrschaft im Mittelalter und spannt dabei einen weiten Bogen: In einem umfangreichen Kapitel behandelt er zunächst 36 abendländische Herrscher und Fürsten, die entweder einen Löwenbeinamen trugen oder mit Löwen verglichen wurden. Heute eher unbekannt ist beispielsweise, daß man auch König Ludwig VIII. von Frankreich (1223–1226) „den Löwen“ nannte. Nach Jäckel begründete nicht der kriegerische Erfolg gegen die englische Krone Ludwigs Beinamen, sondern man wollte den König als Friedenskönig charakterisieren: Er sei ein leo pacificus, ein friedfertiger Löwe gewesen. Nach zeitgenössischem Verständnis hätten sogar die blutigen Kreuzzüge des Königs gegen die ketzerischen Katharer dem Frieden in Kirche und Welt gedient.

An den Überblick anknüpfend untersucht Jäckel, inwiefern die Grundlagen für die Löwenvergleiche in der Antike oder in theologischen Schriften liegen. Auf mittelalterlichen Quellen verschiedener Gattungen basieren die weiteren Kapitel seiner Arbeit. Akribisch analysiert er die Verwendung der Löwensymbolik in Fürstenspiegeln, Bestiarien, Fabeln, höfischen Epen, Herrschaftsprophezeiungen und Bildquellen. Auf den Gebrauch des Löwen als Symbol im byzantinischen und islamischen Kulturkreis geht Jäckel, der in Bochum auch Orientalistik und Islamwissenschaften studierte, in einem letzten Kapitel ein.

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Fragen, weshalb die Verwendung des Löwen als politisches Symbol im Mittelalter bis zum 13. Jahrhundert zunahm, was es für die Zeitgenossen bedeutete und welchem Zweck seine propagandistische Verwendung diente. Die Löwensymbolik für Herrschaft zeige, so Jäckels Feststellung, durchaus antike Traditionen. Von den frühen Reichen des Alten Orients in Mesopotamien und Ägypten bis in die römische Zeit sei der Löwe ein meist positiv besetztes Sinnbild herrscherlicher Qualifikation gewesen. In der christlichen Symbolik sei die Bedeutung des Löwen jedoch ambivalent: Er stelle sowohl Christus selbst als auch den Teufel dar. Aus diesem Grund habe man im Frühmittelalter noch gezögert, den König mit Löwenattributen auszustatten.

Die Bedeutung des Löwen als Herrschersymbol sei für die Zeitgenossen vielfältig gewesen: Der Löwe habe für Tapferkeit gestanden, aber auch auf moralischer Ebene für Gerechtigkeit und den Schutz der Schwachen. Man habe mit ihm den Herrscher als erbarmungslosen Heiden- und Ketzerbekämpfer stilisiert, ihn aber auch in christlicher heilsgeschichtlicher Deutung als „Weltkaiser“ der erwarteten Endzeit charakterisiert, der das befreite Jerusalem erneuern werde. In dieser Rolle habe man beispielsweise den französischen König Philipp II. August (1180–1223) gesehen, der als einer der Anführer des 3. Kreuzzugs versuchte, das Königreich Jerusalem wiederzugewinnen.

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Das Ziel aller Herrscherpropaganda sei es schließlich gewesen, mit der Löwensymbolik die Legitimation des Königs oder des Fürsten zu betonen. Gerade Herzog Heinrich der Löwe habe so unterstreichen wollen, daß seine Legitimation der des Königs in nichts nachstand.

Insbesondere die Bandbreite, mit der Jäckel das Thema in seinen vielen Facetten beleuchtet, zeichnet die Dissertation aus. So bleibt an diesem gut lesbaren, quellengesättigten und umfassenden Werk kaum etwas zu wünschen übrig.

Rezension: Daniel Rupp

Der Herrscher als Löwe
Jäckel, Dirk – Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter
Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2006, 377 Seiten, Buchpreis € 47,90
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