Während Montaignes „Essais“, denen eine ganze Literaturgattung ihren Namen verdankt, zur Weltliteratur zählen, hat das Tagebuch über seine Badereise nach Italien 1580/81 erst spät Beachtung gefunden: 1770 wurde das Manuskript entdeckt, inzwischen gilt es als verloren. Bereits kurz nach der Entdeckung erfolgten mehrere Ausgaben und Übersetzungen, eine annähernd vollständige Übertragung ins Deutsche erschien jedoch erst 1908.
Die vorliegende Ausgabe von Hans Stilett bringt den Text zum erstenmal in voller Länge, bringt einen Überblick über die Editionsgeschichte und einen detaillierten Kommentar. Der flüssigen, gut lesbaren Übersetzung sind etliche zeitgenössische Illustrationen beigegeben. Das im ersten Teil von einem Sekretär, dann von Montaigne selbst verfaßte Tagebuch schildert von Station zu Station eine Reise, die den an Nieren- und Blasensteinen Leidenden zunächst aus dem Südwesten Frankreichs ins südliche Elsaß, dann durch die Schweiz nach Norditalien und schließlich wieder zurück in seine Heimat führte. Zwar stehen der Badebetrieb (der sich nur wenig von dem heutigen unterscheidet) und Montaignes körperliches Befinden im Vordergrund, doch werden auch die Sehenswürdigkeiten und die regionalen wie lokalen Eigenheiten beschrieben. Dabei zeigt sich Montaigne bemerkenswert vorurteilsfrei. Das Ganze ist ein überaus lesenswerter Bericht über eine Kur- und zugleich Bildungsreise aus der Sicht eines nicht unvermögenden Adligen, der dem Leser interessante Einblicke in die Alltagsgewohnheiten im westlichen Europa vor 400 Jahren vermittelt.
Rezension: Erbe, Michael