Zahlreiche Schilderungen von Exilanten und Holocaust-Überlebenden setzen sich mit der Judenverfolgung im Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 auseinander. Dagegen existieren nur verhältnismäßig wenige Zeugnisse derer, die, obwohl massiv bedroht, die Zeit der Verfolgung vollständig in Deutschland erlebt und überlebt haben.
Auch wenn das Deutsche Reich die Auswanderung seiner unliebsam gewordenen jüdischen Bürger noch bis 1941 unter immensem wirtschaftlichen Profit zuließ und zeitgleich die Bedrohungslage für diese zuspitzte, verblieben viele jüdische und jüdischstämmige Familien, die meisten seit mehreren Generationen assimiliert, in ihrer deutschen Heimat – aus Verbundenheit, Verkennung der Realitäten oder Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
So auch die Eltern von Irène Alenfeld, die sich, auch um ihrer Kinder willen, gegen eine Auswanderung und für ihre deutsche Geschichte entschieden. Der Vater war Bankier in Berlin, dekorierter Veteran des Ersten Weltkriegs und Sohn westpreußischer Einwanderer mosaischen Glaubens, die Mutter Deutsche. Obwohl evangelisch getauft, führten sie nach nationalsozialistischem Recht eine „Mischehe“, und auch Sohn und Tochter galten als „Mischlinge“. Krieg und Gewaltherrschaft zwangen die Familienmitglieder sich zu trennen. Obschon die Familie wegen ihres unsicheren Status bis Kriegsende stets gefährdet blieb, unternahmen die Eltern alles, um anderen Verfolgten zu helfen.
Mit großer Sorgfalt hat die Autorin in ihrem Elternhaus entdeckte Briefwechsel und Aufzeichnungen mit historischen Fakten zu einer dichten und bewegenden Familienchronik für die Jahre 1933-1945 verarbeitet. Mit großer Authentizität schildert sie die inneren und äußeren Kämpfe ihrer Eltern, die sich und ihre beiden Kinder der täglichen Demütigung und Bedrohung durch die Behörden und Mitdeutschen ausgesetzt sahen. Nachdenklich und ohne familiäres Pathos präsentiert die studierte Sprachwissenschaftlerin ihren Lesern ein mitreißendes und eindringliches Buch, das einen bedrückenden wie realistischen Einblick in die Lebenswirklichkeit einer jüdisch-deutschen Familie im nationalsozialistischen Deutschland gibt.
Rezension: Christian Volkholz