Sie waren seinerzeit ein großer Erfolg, die „Briefe eines reisenden Franzosen“. Hinter diesem fiktiven „französischen“ Reisenden verbarg sich Johann Kaspar Riesbeck, 1754 in Höchst als Sohn eines Fabrikanten geboren. Als radikaler Aufklärer und spitzzüngiger Kritiker musste Riesbeck zunächst Mainz, dann Wien, schließlich Zürich verlassen, wo er als erster Redakteur der neugegründeten „Zürcher Zeitung“ tätig gewesen war. 1783 erschienen die beiden Bände seiner „Briefe“ anonym in Zürich. Nur 32-jährig, starb der Autor im schweizerischen Aarau an Tuberkulose.
Heiner Boehnke und Hans Sarkowicz haben die Briefe nun in einem Folioband der „Anderen Bibliothek“ herausgegeben. Dem nun erstmals vollständig editierten Text wurden schöne zeitgenössische Kupferstiche, Karten und Graphiken beigegeben. Ein ausführlicher Kommentar erläutert einzelne Ausdrücke oder Textpassagen, verortet Riesbecks „Briefe“ in der zeitgenössischen Reiseliteratur und stellt die Biographie des Autors vor.
Wir begleiten den Reisenden nach Berlin und Weimar, nach Prag und Wien, durch Bayern und den deutschen Südwesten, ins Rheinland und bis nach Hamburg und Dänemark. Riesbeck porträtiert nicht nur die einzelnen Städte und Landschaften, sondern er wirft auch ein waches Auge auf die politischen und sozialen Verhältnisse. Das liest sich oft vergnüglich. Er spottet über kleinstädtische Rückständigkeiten ebenso wie über die Un‧arten des Klerus, lobt aber auch aufklärerische Tendenzen allerorten, vor allem in Preußen, das er zum Musterstaat erklärt.
In Prag etwa kritisiert er dagegen die „mönchische Erziehung“ der Jugend, die dadurch nicht der „Industrie“ aufgeschlossen sei, hebt dagegen aber die Leistungen der „Mäurerei“ (der Freimaurerei) für das Gemeinwesen hervor. Dazu lobt er das muntere gesellschaftliche Leben und die musikalischen Veranstaltungen in der Stadt an der Moldau.
Allerdings erweist sich Riesbeck mit antisemitischen Äußerungen durchaus als Kind seiner Zeit, wenn er sich über die „Unreinlichkeit“ der Prager Juden auslässt und Juden insgesamt als „betrügerisches Volk“ diffamiert. Außerdem wundert sich der Autor dar‧über, dass man „den Erzfeinden des Christentums“ freie Religionsausübung gestatte, dabei aber den Protestanten diese verwehre. So erhält der Leser der Reisebriefe ein vielgestaltiges Gesellschaftspan‧orama Mitteleuropas am Vorabend der Französischen Revolution, gesehen von einem kritischen, aber keineswegs vorurteilsfreien Geist.
Rezension: ht