Die Lebenserinnerungen der Else Sohn-Rethel, die Hans Pleschinski kundig kommentiert hat, führen mitten hinein in deutsch-jüdische großbürgerliche Kreise im Dresden der Belle Époque. Die Autorin, 1853 geboren, entstammte einer in hohem Maß künstlerisch interessierten und ambitionierten Familie: August Grahl, ein Großvater Elses, war ebenso ein anerkannter Maler wie ihr Vater Alfred Rethel, während ihre Mutter ganz in ihrer Dichtung lebte. Später heiratete die talentierte Tochter, die eine Ausbildung als Sängerin erhielt, den Maler Carl Sohn.
So sehr Heiterkeit und Kunst das Leben des Kindes und der Jugendlichen prägten, so sehr wird deutlich, dass dies alles – die großzügige Aufnahme junger Künstler, die glanzvollen Feste, die Reisen und Theaterbesuche – nur denkbar war durch den Reichtum des gleichfalls familieneigenen Bankhauses Oppenheim. Ein für ein Mädchen dieser Zeit liberaler Erziehungsstil und große persönliche Freiräume prägten Elses Lebensjahre bis zu ihrer Heirat, die sie nach Düsseldorf führte. Gern folgt der Leser der jungen Frau, die sich am neuen Ort zunächst in wesentlich bescheidenere Verhältnisse versetzt sah, sich aber bald kulturell engagierte. Zwar zogen mit Krieg und Cholera auch einmal dunkle Wolken am Himmel auf, doch von antisemitischen Ressentiments berichtet Else Sohn-Rethel, die 1933 starb, interessanterweise gar nichts.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger