Deutsch Schützen ist ein kleiner Ort im österreichischen Burgenland mit ein paar hundert Einwohnern. Dass dort am 29. März 1945, kurz vor Kriegsende, drei Angehörige der Waffen-SS-Division „Wiking“ über 50 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter erschossen hatten, war lange Zeit selbst unter Spezialisten kaum bekannt.
Das hat sich nun geändert: Der Wiener Politikwissenschaftler Walter Manoschek, ein ausgewiesener Kenner der Geschichte des Nationalsozialismus, hat einen Dokumentarfilm und ein Buch vorgelegt, die beide herausragend sind. Er schaffte es, Adolf Storms (1919 –2010), einen der mutmaßlichen Massenmörder, 15 Stunden vor laufender Kamera zu interviewen, und mit zwei HJ-Führern sowie drei jüdischen Überlebenden des Massakers zu sprechen. Darüber hinaus hat er das verfügbare Archivmaterial sorgfältig ausgewertet.
So gelingt es ihm, das Verbrechen und den Umgang mit der Massenerschießung in der Gemeinde und auf juristischer Ebene genau zu rekonstruieren: „Die öffentlichen Stellen waren entweder unwissend, handelten rechtswidrig oder ergingen sich in kleinlichen Kompetenzstreitigkeiten“. Obwohl Adolf Storms leicht auffindbar war, kam es vor Manoscheks Recherche nicht zu Ermittlungen gegen ihn.
Die nationalsozialistische Karriere Storms beschreibt der Autor als „klassisch“: „Beitritt zur NSDAP, Austritt aus der katholischen Kirche und Bekenntnis zur Gottgläubigkeit, Beitritt zur Allgemeinen SS, freiwillige Meldung zur Waffen-SS.“ Sehr vorsichtig und differenziert versucht Manoschek, das Verhalten Storms 1945 und seine Gesprächsbereitschaft ihm gegenüber bei offenbarer Erinnerungslosigkeit an den routinemäßig erledigten Massenmord zu verstehen.
Storms fand sich immer wieder zu Interviews bereit, konnte sich aber an die Tat selbst angeblich nicht erinnern. Manoschek bietet unterschiedliche Erklärungsmodelle an, ohne den Leser von einem Ansatz überzeugen zu wollen. „Möglicherweise war es die Nichtkommunizierbarkeit der damaligen Motive und Handlungen im heutigen moralischen Referenzrahmen und nicht seine fehlende Erinnerung, die es Storms verunmöglichte, mit mir darüber zu sprechen. Denn offensichtlich wollte er mir etwas sagen“, vermutet der Autor.
Als grundsätzliches Ergebnis seiner eindrucksvollen und gut lesbaren Studie betont Manoschek die zentrale Bedeutung der nationalsozialistischen Ausrottungsideologie bei der Durchführung des Mordens, die die Täter, die aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft stammten, verband: „Das rassistische, eliminatorische Gesellschaftsprojekt des Nationalsozialismus erzeugte eine neue Moral, neue Werte, eine neue Rationalität: Wenn im Nationalsozialismus die Vernichtung aller Juden oberste Priorität besaß, dann galt jedes Handeln als moralisch, rational und wertvoll, welches dazu beitrug, das gesteckte Ziel zu erreichen.“
Rezension: Prof. Dr. Dr. Rainer Hering