Der Chronist Giorgio Vasari hatte sichtlich Mühe, seine Begeisterung für das, was sich seinen Augen da bot, in angemessene Worte zu kleiden: „Wirklich war und ist dies Werk die Leuchte unserer Kunst“. Dem Papst, der versammelten Kurie und den Honoratioren, die sich am Allerheiligentag 1512 in der Sixtinischen Kapelle zusammengefunden hatten, erging es nicht anders: „Alle erstaunten und verstummten.“ Zu schön, zu überwältigend waren die Bilder, die Michelangelo Buonarroti al fresco an das Deckengewölbe der Sixtina gezaubert hatte. Dabei hatte er 1508 den Auftrag Papst Julius´ II. nur widerstrebend angenommen. Bislang war er hauptsächlich als Bildhauer aufgefallen, als Maler jedoch war er relativ unerfahren. Hoch oben und in Verkürzung, das sei etwas anderes, als auf dem Boden zu malen, äußerte auch Bramante seine Zweifel. Die Herausforderung war immens. Technische Anfangsschwierigkeiten, Geldmangel, das ständige Drängeln seines Auftraggebers, insbesondere aber die unendliche körperliche Schinderei ließen Michelangelo beinahe an dem Werk verzagen, welches sein Métier nun mal nicht war. In einer ebenso aufwendigen wie heftig umstrittenen Restaurierung wurde das Deckenfresko in den Jahren 1980-1990 vom Staub und Kerzenruß, von späteren Übermalungen und dicken Patinaschichten befreit. Seitdem erstrahlt Michelangelos gewaltige Bildkomposition wieder in den lichten, bunten Farben, die vor 490 Jahren die Augenzeugen ihrer Enthüllung vor Ehrfurcht verstummen ließen.
1. November 1512
Die „Leuchte unserer Kunst“ enthülltTeilen: