Als Abdülmecid 1922 von der Großen Nationalversammlung in Istanbul zum 101. Kalifen gewählt wurde, besaß das Amt eine 600 Jahre alte Tradition. Anders als seine arabischen und osmanischen Vorgänger war er aber vor allem religiöses Oberhaupt, nicht mehr der „Befehlshaber“ der Muslime, besaß also keine politische Macht.
Kurz zuvor war der Konflikt zwischen der Nationalversammlung in Ankara und ihrem ersten Präsidenten Mustafa Kemal, dem späteren Präsidenten der türkischen Republik, und der Regierung des in Istanbul residierenden Sultan-Kalifen eskaliert. Mehmed VI. Vahdettin wurde abgesetzt, das Sultanat abgeschafft. Als neuen Kalifen wählte die Nationalversammlung Abdülmecid aus dem Haus Osman. Seine Kompetenzen blieben unklar: In Umkehrung der bisher dem Kalifen zustehenden Huldigung wurde er auf die republikanische Verfassung verpflichtet, und sein Status lag unter dem Mustafa Kemals.
Trotz dieser Degradierung war der Kalif in Istanbul die letzte Institution, die nach der Ausrufung der Republik (23. Oktober 1923) noch eine Verbindung zum osmanischen Erbe darstellte. Damit waren seine Tage gezählt. „Die Würde des Kalifats kann … für uns keine andere Bedeutung als die einer geschichtlichen Erinnerung haben“, befand Kemal. Am 3. März 1924 beschloss die Nationalversammlung die Abschaffung des Kalifats, alle Angehörigen des Hauses Osman wurden des Landes verwiesen. Abdülmecid starb 1944 in Paris. Erst 1992 durften männliche Nachkommen des Hauses Osman wieder in die Türkei einreisen.