Die Aussicht vom Gipfel des provenzalischen Mont Ventoux in 1912 Metern Höhe war atemberaubend: Die Wolken zu ihren Füßen, blickten die beiden Bergwanderer auf die schneebedeckten Alpen, hinab auf die Rhone bis hin zum Mittelmeer. Wir schreiben das Jahr 1336, und die beiden Bergsteiger waren der italienische Dichter Francesco Petrarca und sein jüngerer Bruder Gherardo.
In einem Brief an seinen Freund Dionigi di Borgo San Sepolcro berichtet Petrarca ausführlich von diesem Erlebnis: Wie ihn allein die Begierde trieb, den Gipfel zu sehen, wie er mit seinem Bruder vor Sonnenaufgang von Malaucène aufbrach, um die „jäh abstürzende, fast unersteigliche Felsmasse“ zu bezwingen, ein Unternehmen, von dem er schon viele Jahre geträumt hatte. Ein Hirte habe versucht, sie zur Umkehr zu bewegen, doch das habe den Reiz nur noch vergrößert. War eine Gipfelbesteigung nicht ähnlich mühevoll wie der Weg zum ewigen Leben? Das aufwühlende Gipfelerlebnis habe ihn zu tiefen Gedanken über Gott und die menschliche Seele veranlasst. Augustinus’ mahnende Worte im Ohr, weniger das Irdische zu bestaunen, als den Blick auf die unsterbliche Seele zu lenken, habe er mit seinem Begleiter schließlich tief in Gedanken versunken den Heimweg angetreten. Petrarcas Brief ist freilich stark stilisiert: die Bergbesteigung als Weg der Umkehr und zu Gott, ein Bekehrungserlebnis wie einst bei Augustinus. Dennoch – Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux wird als „Geburtsstunde des Alpinismus“ gefeiert.