Jonathan Wild galt als ehrbarer Bürger, der sich unermüdlich für die Aufklärung von Verbrechen im London des frühen 18. Jahrhunderts einsetzte. Zumindest auf den ersten Blick. In Wahrheit gab ihm die Stadt, in der die Verbrechensbekämpfung weitgehend in der Hand von Bürgerwehren lag, die perfekte Bühne für sein Doppelleben: Wild war Anführer einer Bande von Dieben, die ihre Beute bei ihm ablieferten. Entweder gab er es den Eigentümern gegen die Zahlung einer Geldsumme zurück, oder er kam später mit dem Diebesgut bei ihnen an, behauptete, seine Thief Taking Agents („Diebesfänger“) hätten es gefunden, und kassierte die Belohnung. Zudem lieferte er zahlreiche rivalisierende Verbrecher gegen Belohnung an den Galgen.
Zu Wilds Untergang führte 1724 der Fall des berüchtigten Einbrechers Jack Sheppard. Viermal wurde dieser von Wilds Männern festgenommen, viermal entkam er: Weder Ketten noch hermetisch bewachte Gefängniszellen konnten ihn aufhalten. Erst nach der fünften Festnahme wurde er hingerichtet. In der Bevölkerung war der Ausbrecherkönig Sheppard längst ein Held: Mann des Volkes, gewaltlos und obendrein gutaussehend. Die Stimmung gegen Wild kippte, das Misstrauen gegen den angeblichen Saubermann wuchs, und schließlich wurde Wild selbst festgenommen. Nach und nach wurde sein gesamtes Doppelleben enthüllt. Wilds Hinrichtung durch den Strang am 24. Mai 1725 wurde zum öffentlichen Großereignis und er zur Vorlage für den „Peachum“ in der „Beggar’s Opera“ von John Gay bzw. in Brechts „Dreigroschenoper“.