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„Aus Schwäche groß geworden“

Faszinierende Figuren: Volker Schlöndorff über Dietrich von Choltitz

„Aus Schwäche groß geworden“

Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In Heft 8/2014: Regisseur Volker Schlöndorff über den Wehrmachtsgeneral Dietrich von Choltitz.

DAMALS: Hitlers letzter Statthalter in Paris: Wann sind Sie das erste Mal auf diesen Mann gestoßen? Volker Schlöndorff: Das war schon vor fast 60 Jahren, als ich in Paris studierte. Dort wurde mir von Kommilitonen unter die Nase gerieben, Hitler habe 1944 Paris zerstören wollen, und ein deutscher General habe es verhindert.

DAMALS: Nun ist Dietrich von Choltitz in Ihrem neuen Film „Diplomatie“ eine der beiden Hauptfiguren. Was hat Sie an ihm beeindruckt? Volker Schlöndorff: Erst mal gar nichts. Als ich mich an den Film machte, erfuhr ich mehr über ihn: Er war kein gebildeter Kulturmensch wie viele andere deutsche Offiziere, sondern ein typischer Infanteriemann, ein harter Berufsmilitär und Befehlsempfänger, dem man nicht zugetraut hätte, der „Retter von Paris“ zu werden. Und genau er führte plötzlich den Befehl Hitlers, die Stadt vor dem Rückzug zu zerstören, nicht aus.

DAMALS: Bis heute ist nicht endgültig geklärt, warum sich von Choltitz so verhielt. Wie ist Ihre Interpretation? Volker Schlöndorff:In seiner Autobiographie nach dem Krieg hat er behauptet, schon nach dem Treffen mit Hitler, der ihn nach Paris schickte, sei er entschlossen gewesen, dessen Vorgaben nicht zu befolgen. Das ist mit Vorsicht zu genießen. Klar ist auch, dass von Choltitz in Paris die Brücken verminen ließ. Aber dann begann er zu lavieren. Mein Schluss ist folgender: Er war ein Zauderer, der so lange gezögert hat, bis es zu spät war. Es zeigt, dass Geschichte oft nicht von willensstarken Männern gemacht wird, sondern wie in diesem Fall von eigentlich willigen Helfern. Ich würde sagen: Aus Schwäche ist er groß geworden.

DAMALS: Können Sie das näher erklären? Volker Schlöndorff: Der höchste Wert für ihn war die Ehre seiner Familie. Wie konnte er diese retten? Paris zerstören oder Paris verschonen – beides hätte einen Fleck auf seiner Weste bedeutet. Außerdem lief er Gefahr, dass seine Frau und die drei Kinder der Sippenhaft anheimfallen würden, wenn er einen Befehl verweigerte.

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DAMALS: Ist von Choltitz für Sie eine „faszinierende Figur“ in dem Sinn, dass man vielleicht sogar ein wenig Sympathie für ihn empfinden kann, oder eher eine „schillernde“, zu der man besser Distanz hält? Volker Schlöndorff: Als Regisseur muss ich für jede meiner Figuren eine gewisse Sympathie entwickeln. Von Choltitz befand sich in einem exemplarischen Dilemma: Wie verhalte ich mich? In einer solchen Situation ist jeder dem eigenen Gewissen verpflichtet. Er wollte seinen Eid auf den „Führer“ nicht brechen. Genauso ging es selbst den Offizieren, die mit dem Widerstand sympathisierten. Dass die deutsch-französische Versöhnung nach dem Krieg so schnell zum Erfolg führte, das ist übrigens zum großen Teil das Verdienst dieses Mannes.

Kurzporträt: Dietrich von Choltitz (1894 –1966) war zuletzt vom 9. bis zum 25. August 1944 Wehrmachtsbefehlshaber von Groß-Paris. Er führte Hitlers Anweisung, die Stadt beim Rückzug zu zerstören, nicht aus. In Gesprächen, die während seiner Gefangenschaft abgehört wurden, bezichtigte er sich selbst, in der Sowjetunion an Judenerschießungen mitgewirkt zu haben.

Volker Schlöndorff, geb. 1939, ist Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent. Für seinen Film „Die Blechtrommel“ nach dem gleichnamigen Grass-Roman erhielt er einen Oscar.

Interview: Stefan Bergmann

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