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„Besser ist möglich“

Faszinierende Figuren: Franz Müntefering über Albert Camus

„Besser ist möglich“

Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In Heft 12/2015: der langjährige SPD-Bundespolitiker Franz Müntefering über den Philosophen Albert Camus. Wann sind Sie erstmals auf Albert Camus gestoßen?

Franz Müntefering: Als Albert Camus 1960 tödlich verunglückt ist, war das groß in allen Zeitungen. Da ist er mir das erste Mal bewusst aufgefallen. Ich habe mir dann einige seiner Werke besorgt und gelesen.

DAMALS: Was hat Sie an ihm beeindruckt? Müntefering: Er hatte eine sehr klare Sprache. Ich konnte ihn gut verstehen. Ich war 20 Jahre alt, das ist die Zeit der Sinnsuche. Seine Themen fesselten mich: Es ging um Ethik und Moral. Beeindruckt hat mich zum Beispiel die Novelle „Jonas oder Der Künstler bei der Arbeit“: Dahinter steckt die Frage, wie man leben will – einsam oder gemeinsam mit anderen? Oder die Novelle „Der Fall“. Das Buch hat es mir besonders angetan.

DAMALS: Worum geht es darin? Müntefering: Um den ehemaligen Staranwalt Johannes Clamans, der in einer Amsterdamer Kneipe über sein Leben spricht und irgendwann sagt, er habe früher „nie wahrhaft überzeugt glauben können, dass die Angelegenheiten der Menschen ernst zu nehmen“ seien. So habe ich bei Camus gelernt, dass die Angelegenheiten der Menschen ernst zu nehmen sind. Das hieß für mich: Man muss sich einmischen.

DAMALS: Welches sind die Kernsätze seines Denkens, die bei Ihnen hängengeblieben sind? Müntefering: Camus beschreibt die Absurdität der Welt und des Lebens – so sieht er es. Er will aber nicht resignieren oder zynisch werden, im Gegenteil: Er liebt das Leben. Camus war sehr politisch: Er hat sich nicht nur in der Résistance gegen die Nazis engagiert, sondern auch gegen den Kommunismus agitiert, den „Sozialismus der Galgen“. Sein Credo lautete: Menschen niemals einem Ideal, einer „goldenen Zukunft“ opfern. Mich hat das imprägniert gegen das Revoluzzer-Gerede in den 1960ern. Da hieß es ja gerne: Wenn man die Welt verbessern will, dürfen dabei schon ein paar Leichen vorkommen.

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DAMALS: Camus war Atheist. Sie kommen aus einem katholischen Milieu. Fanden Ihre Eltern gut, was Sie da lasen? Müntefering: Bei uns zu Hause gab es keine Bücher. Mein Vater hatte ein Gesangbuch, und meine Mutter las vielleicht mal einen „Lore“-Roman. Ich hatte das Gefühl, da muss noch was sein, das in meiner Volksschule nicht vorgekommen ist. Also las ich Camus, Dostojewski, Kafka. Meine Mutter fürchtete, solche Lektüre würde mich aus der Spur werfen. Aber es hat mir Stabilität gegeben.

DAMALS: Nach allem, was Sie über ihn wissen: Was war er für ein Mensch? Müntefering: Camus war Realist: Die Welt ist schwierig, man muss kämpfen. Besser ist möglich. In seinem Essay „Der Mythos des Sisyphos“ heißt der letzte Satz: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Diesen Menschen also, der verurteilt ist, den Stein immer wieder den Berg hinaufzurollen, wohl wissend, dass er wieder herunterrollen wird – das ist philosophisch ein großer und wohltuender Unterschied zum deutschen Idealismus.

DAMALS: Hat Camus der jüngeren Generation noch etwas zu sagen? Müntefering: Ich glaube, dass Camus ein Mutmacher ist, immer. Gegen Zweifel an dieser Welt und am Leben.

Kurzporträt: Albert Camus, geb. 1913 in Algerien, war ein französischer Schriftsteller und Philosoph. 1957 erhielt er für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Camus starb 1960 bei einem Autounfall.

Franz Müntefering, Jahrgang 1940, war unter anderem Minister im ersten Kabinett Schröder sowie Vizekanzler und Minister im ersten Kabinett Merkel, von 2002 bis 2005 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zweimal SPD-Bundesvorsitzender.

Interview: Stefan Bergmann

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