Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In Heft 6/2014: die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges.
DAMALS: Wann sind Sie das erste Mal auf Olympe de Gouges gestoßen? Stollberg-Rilinger: Das ist schon lange her – als ich mich mit der Spätaufklärung und dem Geschlechterverhältnis in der Zeit der Französischen Revolution beschäftigt habe.
DAMALS: Was hat Sie an Olympe de Gouges fasziniert? Stollberg-Rilinger: Sie hat radikal gegen die Selbstverständlichkeiten ihrer Zeit gedacht und ihre Gedanken mutig ausgesprochen. Ihre besondere Art und Weise hat sicher mit ihrer Herkunft zu tun. Sie war Tochter eines Adligen, der sie nicht anerkannt hat, und einer Frau aus dem einfachen Volk. Damit war sie in der ständischen Gesellschaft heimat- und eigentlich auch chancenlos. Statt Analphabetin zu bleiben, lernte sie gegen alle Wahrscheinlichkeiten schreiben, bildete sich autodidaktisch weiter und wurde sogar Schriftstellerin.
DAMALS: Welche wichtige Leistung verbinden Sie mit Olympe de Gouges? Stollberg-Rilinger: Nachdem die französische Nationalversammlung am 26. August 1789 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verkündet hatte, war sie die Einzige, die auf einen Widerspruch hinwies: Mit dieser „Déclara‧tion des droits de l’homme und du citoyen“ waren ausdrücklich nur die Männer gemeint. 1791 setzte sie dieser ersten Erklärung ihre konkurrierende „Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne“, die Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin, entgegen. Sie stellte eine klare politische Forderung: Politische Rechte müssen für alle gelten.
DAMALS: Wie war die Reaktion darauf ? Stollberg-Rilinger: Sie ist auf vollkommenes Unverständnis gestoßen. Letztlich ist Olympe de Gouges deswegen auch zum Opfer der Revolution geworden und unter der Guillotine gestorben.
DAMALS: Hat Olympe de Gouges heute noch Vorbildfunktion? Stollberg-Rilinger: Absolut. Es gibt gesellschaftliche Situationen, in denen die Mehrheit etwas für abwegig, unerreichbar oder völlig absurd hält, und man hält trotzdem dagegen. Das hat Olympe de Gouges getan. Ihre Aktualität liegt in meinen Augen gar nicht allein im Bereich der weiblichen Gleichberechtigung. Ein Beispiel: Bis vor kurzem schien es unvorstellbar, dass Menschen gleichen Geschlechts heiraten. Denkt man liberale Rechtsgrundsätze aber konsequent zu Ende, ist es schwer, etwas dagegen einzuwenden. Olympe de Gouges hat auf Inkonsequenzen hingewiesen, die ihren Zeitgenossen überhaupt nicht auffielen. Man braucht solche Stimmen, die Selbstverständlichkeiten in Frage stellen.
DAMALS: Sonderlich bekannt ist diese interessante Frau nicht – wie kommt das? Stollberg-Rilinger: Die Frauenbewegung, wie wir sie kennen, beginnt erst ein Jahrhundert später. Insofern ist diese Gestalt zu früh aufgetaucht und wohl auch deshalb in der breiten Öffentlichkeit unbekannt. Erstaunlicherweise gibt es zu Olympe de Gouges auch kaum aktuelle wissenschaftliche Arbeiten. Dabei ist sie eine wichtige Figur der Aufklärung, die auf die Gefahr der Halbierung der Menschenrechte hinwies. Jean-Jacques Rousseau dagegen, der ja die große Lichtgestalt der Aufklärung und der Revolution ist, versagte der Hälfte der Menschheit die bürgerlichen Rechte.
Kurzporträt: Olympe de Gouges (eigentlich Marie Gouze; 1748 –1793): Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Revolutionärin. Sie starb auf der Guillotine.
Barbara Stollberg-Rilinger, geb. 1955, lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster. Sie ist Sprecherin des Exzellenzclusters „Religion und Politik“.
Interview: Winfried Dolderer