Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In Heft 9/2014: die langjährige Bundespolitikerin Rita Süssmuth über Nelson Mandela.
DAMALS: Wissen Sie noch, wann Sie zum ersten Mal von Mandela gehört haben? Rita Süssmuth: Es war in den 1980er Jahren, als in Deutschland verstärkt über Südafrika und die dortige Befreiungsbewegung des African National Congress diskutiert wurde. Die bayerische CSU lehnte den ANC ab. Menschenrechtsorganisationen, aber auch Abgeordnete traten für die Beendigung der Apartheid ein. Damals erfuhr ich von der Gefängnishaft Mandelas. Umso größer war dann mein Interesse, als 1990 zeitgleich mit der epochalen politischen Wende bei uns die Freilassung Mandelas erfolgte.
DAMALS: Sind Sie ihm persönlich begegnet? Süssmuth: Ich war 1995 als Parlamentspräsidentin in Südafrika und bin damals auch mit Mandela zusammengekommen – in dem Wissen um seine kämpferische Vergangenheit. Das war eine Begegnung, die ich nie vergessen habe.
DAMALS: Was hat Sie am meisten beeindruckt? Süssmuth: Wie hier ein Mensch ein Ziel vor Augen hatte und es nie aufgab. Die Beendigung der Apartheid – das hat er zeit seines Lebens nicht nur als Vision, sondern als praktische Politik und persönliches Engagement verfolgt. Dafür ist er 27 Jahre im Gefängnis gewesen. Und in dieser Zeit eines Inseldaseins hinter Gittern hat er nie das Gefühl entwickelt: Wenn ich mal wieder draußen bin, ich werd’s euch zeigen. „Wer hasst, kann nicht befreit werden“, das blieb sein Leitsatz.
DAMALS: Wie verlief das Treffen? Süssmuth: Ich kam mit einer Gruppe afrikanischer Frauen bei Nelson Mandela an. Polizei war nirgendwo zu sehen. Wir gingen fast schlendernd, lachend, die Afrikanerinnen sangen und stürmten auf Mandela zu. Er saß in einem Korbsessel, ganz gelassen, in seinem karierten afrikanischen Hemd, und hörte zunächst nur zu. Erst den Frauen, dann mir. Dann hat er berichtet, was ihn damals bewegte.
DAMALS: Was würden Sie sagen, wenn Sie Mandelas Wirken in zwei, drei Leitgedanken zusammenfassen sollten? Süssmuth: Unwürde in Würde, Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit wandeln. Menschen mitnehmen, damit sie das sein können, was sie als Menschen sein wollen; ohne Gewalt und Hass. Sein Leben lang hat Mandela darauf hingearbeitet, die Ungleichheit von Menschen aus Gründen der Rasse und Hautfarbe abzuschaffen. Ein Problem, das wir bis heute immer noch nicht gelöst haben. Er kannte die Vielfalt seines Landes und wusste: Ich muss es zusammenhalten. Und schließlich: selbst im Gefängnis, in der Unfreiheit nicht die Vision aufgeben, Freiheit zu erlangen. So lange wie irgend möglich an dem festhalten, was die tiefste Überzeugung in einem Menschen ist.
DAMALS: Ist er also ein Vorbild? Süssmuth: Ganz bestimmt. Natürlich hat er sich von vornherein an Persönlichkeiten orientiert, die ihm als Vorbilder galten; beispielhaft hierfür stehen Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. In diese Reihe der Persönlichkeiten ist Nelson Mandela aufzunehmen. Wir alle sind in der Lage, unerträgliche Verhältnisse zu verändern. Das ist seine Hauptbotschaft.
Kurzporträt: Nelson Mandela (1918 – 2013), Rechtsanwalt, Kämpfer gegen die Apartheid, erster schwarzer Präsident Südafrikas. 1964 wegen „Sabotage und Planung bewaffneter Aktionen“ zu lebenslanger Haft verurteilt, die er größtenteils auf der Gefängnisinsel Robben Island verbrachte. Seit Februar 1990 wieder auf freiem Fuß, wurde Mandela nach dem Sieg des ANC bei den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika 1994 für fünf Jahre Staatspräsident.
Rita Süssmuth geb. 1937, Erziehungswissenschaftlerin und CDU-Politikerin. Seit 1971 lehrte sie als Professorin. Vorsitzende der Frauen-Union (1986 – 2001), Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit (1985 –1988), anschließend bis 1998 Bundestagspräsidentin. 2000/01 Vorsitzende der von der damaligen rot-grünen Regierung gebildeten Zuwanderungskommission.
Interview: Winfried Dolderer