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Entwicklungspolitik im Kalten Krieg

Geschichte|Archäologie

Entwicklungspolitik im Kalten Krieg
Lehrerinnen und Lehrer aus der DDR, die in tansanischen Schulen eingesetzt waren auf Seminar mit einheimischen Kollegen. (Eric Burton/Uni Wien)

Historiker der Universität Wien waren in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF dem Alltag von Entwicklungspersonal zur Zeit des Ost-West-Konflikts auf der Spur. Ein Schwerpunkt waren dabei die Aktivitäten der DDR. Eines der Ergebnisse: Die Länder in Afrika und Lateinamerika hatten durch den Ost-West-Konflikt bei der Zusammenarbeit großen Einfluss.

Am Bau der Zementfabrik „Mugher“ in Äthiopien waren rund 30 DDR-Ingenieure, 200 kubanische Monteure und 4000 einheimische Arbeiter beteiligt. Die Fabrik, die ab 1980 errichtet wurde und im Wesentlichen noch heute besteht, war nur eines von vielen entwicklungspolitischen Projekten der DDR in den Ländern des Südens. In Äthiopien wurde dieses langjährige Engagement der DDR mit dem „Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit“ besiegelt.

„Dass die Sowjetunion und die DDR zwischen 1960 und 1990 massiv entwicklungspolitisch tätig waren und sich das europäische sozialistische Weltsystem globalisiert hat, wird oft vergessen“, erzählt Berthold Unfried von der Universität Wien. Der Historiker arbeitet aktuell das Thema Entwicklungsgeschichte aus einer globalen Perspektive auf. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Eric Burton hat Unfried in dem Projekt „Entsandte Expert/inn/en“ des Wissenschaftsfonds FWF nun die Entwicklungsarbeit der beiden konkurrierenden Weltsysteme am Beispiel der DDR und der BRD verglichen. Die beiden Länder setzten in Afrika, Lateinamerika und Asien zahlreiche Programme um, mit dem Ziel, Bildung und Fortschritt voranzutreiben sowie das jeweils eigene Gesellschaftsmodell zu repräsentieren.

BRD und DDR waren in den gleichen Ländern aktiv

In detektivischer Archiv- und Feldarbeit haben die beiden Wissenschafter des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in den vergangenen drei Jahren in Deutschland, Tansania, Äthiopien und Kuba das Ausmaß des globalen Austauschs in der Zeit des Kalten Krieges rekonstruiert. In den beiden afrikanischen Ländern waren sowohl die BRD als auch die DDR aktiv. Kuba wiederum war als Drehscheibe bedeutend zwischen dem europäischen sozialistischen System und den Ländern des Südens.

Im Fokus der Untersuchungen standen dabei die Menschen, die durch entwicklungspolitische Aktivitäten in Bewegung gesetzt wurden. Das waren Zehntausende, die nicht nur aus dem Norden kamen, sondern auch Expertinnen und Experten, Facharbeiter und Studierende aus dem Süden, die zur Ausbildung und um zu arbeiten nach Ost und West reisten. „Innerhalb des jeweiligen Systems zirkulierten die Leute massiv. Es entstand ein Migrationssystem, das aber nur temporär sein sollte“, erklärt Unfried.

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150 Interviews mit früheren Experten

Unter anderem haben die Historiker rund 150 Interviews mit entsandten Expertinnen und Experten aus Ost und West wie auch mit ihren „Counterparts“, den einheimischen Partnern geführt. Denn über diese war bis dato nur wenig bekannt. „Deren Aussagen waren oft diplomatisch. Es gibt ein gewisses Höflichkeitsgebot, auch in der Erinnerung“, konstatiert Unfried.

Ein auffälliges Ergebnis der Untersuchungen sei dennoch die starke Rolle, die die Länder Afrikas und Lateinamerikas bei der Gestaltung der Zusammenarbeit einnahmen, so der Historiker der Uni Wien. Der Ost-West-Konflikt gab diesen Akteuren, wie beispielsweise Tansania, einen Spielraum, indem sie zwischen den beiden Blöcken wechselten, um Ressourcen zu lukrieren und in eigenem Interesse zu handeln. „Die Beziehungen waren, insbesondere auf personeller Ebene, nicht so einseitig, wie man sich das vorstellt“, sagt der Experte.

Zudem galt die Maxime: Kein Konflikt mit der einheimischen Regierung. Sowohl in der BRD als auch der DDR wurde demnach eher eine pragmatische Haltung gepflegt. Kam es zu Problemen, die in den Parteiakten des DDR-Personals immer wieder angesprochen werden, gab es wenig Unterstützung vonseiten der Verantwortlichen für die Leute vor Ort. „Eher wurde ein DDR-Experte sanktioniert, als der Einheimische“, so Berthold Unfried. Mit ihren Alltagsproblemen, die Gesprächsstoff in den Kollektiven vor Ort waren, mussten die Entsandten meist alleine fertig werden.

Sowjetunion praktizierte Tauschhandel

Entwicklungsarbeit war und ist ein komplexes Thema. Netzwerke bildeten sich in beiden Systemen in gegenseitigem Interesse. Die DDR entwickelte etwa einen regen Wirtschafts- und Handelsverkehr als Alternativmodell zu dem als ausbeuterisch bezeichneten Westen, wo Handelsbeziehungen nicht zum Entwicklungssektor zählten. So forcierte sie nach sowjetischem Modell einen Tauschhandel, um den Devisensektor zu umgehen. Kaffee wurde gegen Landmaschinen, Zucker oder Kohle gegen Experteneinsätze getauscht. Und natürlich gingen die Erfahrungen des Lebens in fremden Ländern auch am Personal nicht spurlos vorüber.

Eine Frage ist, ob die Expertinnen und Experten, die in ihren Einsätzen über die Welt zirkulierten, einen kosmopolitischen Lebensstil pflegten, wie man ihn bei einer transnationalen Gruppe erwarten könnte. „Das war keinesfalls durchgängig der Fall. Viele lebten in Enklaven, als wären sie in der DDR, der BRD oder in Kuba“, so Unfried. Aber insgesamt würden sich diese Zirkulationen entwicklungspolitischen Personals doch als Beitrag zur Internationalisierung, in späterer Begrifflichkeit zur Globalisierung, darstellen lassen, so der Historiker. In der BRD wurde zu Beginn des entwicklungspolitischen Engagements, in den 1960er Jahren, der internationale Austausch explizit auch als eine Möglichkeit gesehen, die nationalsozialistische Vergangenheit zu überwinden.

In beiden Systemen aber galt die „Sprachregelung“ der Kooperation auf Augenhöhe, die sich im Westen bereits ab den 1970er Jahren in dem Begriff „Entwicklungszusammenarbeit“ ausdrückte und in der DDR unter dem Label „Internationale Solidarität“ oder „Sozialistische Hilfe“ lief.

Quelle: Der Wissenschaftsfonds FWF
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