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Warum es Streit um Kreuz und Kopftuch gibt

Forschung

Warum es Streit um Kreuz und Kopftuch gibt

Religiöse Konflikte um Minarette, Kreuze und Kopftücher sind aus Historikersicht kein neues Phänomen. Auch in früheren Epochen und Kulturen habe sich Streit an der „symbolischen Markierung des öffentlichen Raumes“ durch Kirchbauten, Glockengeläut oder Prozessionen entzündet, sagte Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger am Dienstagabend in Münster. Die Forscherin des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) eröffnete die Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt“ mit einem Vortrag über die konfessionellen Konflikte nach dem Westfälischen Frieden von 1648.

Auch nach dem Friedensschluss habe es noch häufig Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten gegeben, die heutigen Problemen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ähnelten, sagte die Leibniz-Preisträgerin. Symbole wie Wegekreuze, Bilder und Statuen und der Spott der Gegenseite dienten nach den Worten der Expertin dazu, „sich abzugrenzen und die Identität der eigenen Gruppe zu beschwören – nicht viel anders als heute wieder.“ Wie scharf die Konflikte ausfielen und ausfallen, hängt laut Stollberg-Rilinger stark von der sozialen und politischen Situation der Gläubigen ab. „Man kann auch sehr gut beobachten, wie machtpolitische und ökonomische Interessen aus religiösen Konfrontationen Nutzen ziehen und sie verschärfen.“

Der berühmte Westfälische Frieden, dessen Jahrestag Münster jedes Jahr im Oktober begeht, muss laut der Historikerin in diesem Zusammenhang anders bewertet werden als in Sonntagsreden üblich. Er werde stets als „Durchbruch des Toleranzprinzips“ und „Markstein für die friedliche Koexistenz der christlichen Konfessionen“ gefeiert. Diese „Meistererzählung von Säkularisierung und Modernisierung“ müsse modifiziert werden. „Nach 1648 brach kein Zeitalter der Toleranz aus – die alten Konflikte und Feindseligkeiten verschwanden nicht einfach.“ Aber der Westfälische Frieden habe dazu geführt, dass religiöse Konflikte rechtlich und nicht mehr mit Gewalt ausgetragen wurden. Das sei zweifellos ein wesentlicher Fortschritt gewesen.

Der Friedensvertrag schrieb vor, dass sich die konfessionellen Lager auf dem Reichstag nicht mehr überstimmen konnten, sondern friedlich einigen mussten. „Obwohl die Verfahren die konfessionellen Auseinandersetzungen nicht immer lösen konnten, wurde der Streit doch von einer religiösen auf eine rechtliche Ebene gehoben. “ Das Vertragswerk sei aber in sich widersprüchlich gewesen und von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt worden, was neue Konflikte bewirkte, so die Wissenschaftlerin. „Der Westfälische Friede imprägnierte gleichsam die ganze Reichsverfassung mit dem Konfessionsgegensatz“, sagte die Historikerin. „Auch politische Konflikte, die zunächst gar nichts mit Religion zu tun hatten, ließen sich konfessionell aufladen.“ Das habe zur Polarisierung und schließlich zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches beigetragen.

In der öffentlichen Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt von der Antike bis zur Gegenwart“ kommen 15 prominente Experten zu Wort, darunter der Frankfurter Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani. „Wir fragen in der Ringvorlesung: Wie funktioniert friedliches und gewaltfreies Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen in derselben Gesellschaft“, sagte Stollberg-Rilinger. Kommenden Dienstag spricht der evangelische Theologe Prof. Dr. Reinhard Achenbach zum Thema „Zwischen Mose und Zarathustra. Zur gesellschaftlichen Stellung der Juden im antiken Perserreich“.

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Die Referenten der Reihe beleuchten aktuelle Fragen ebenso wie historische Beispiele von der Antike über das vormoderne China und Indien bis zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Es sprechen Historiker, Soziologen, Juristen, Judaisten, Theologen, Religionswissenschaftler und Ethnologen. Der Vortrag „Nach dem Westfälischen Frieden – Wie gut vertrugen sich die Konfessionsgruppen im Römisch-Deutschen Reich?“ war Teil der Reihe „Dialoge zum Frieden“, mit der die Stadt Münster jedes Jahr an den Westfälischen Frieden erinnert. (vvm/han)

Das weitere Programm der Ringvorlesung:

09.11.2010, Perry Schmidt-Leukel (Münster): Hinduistisch-buddhistische Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart 16.11.2010, Michael Borgolte (Berlin): Juden, Christen und Muslime im Mittelalter 23.11.2010, Detlef Pollack (Münster): Die Akzeptanz religiöser Vielfalt heute. Ein Vergleich ausgewählter europäischer Länder 30.11.2010, Helene Basu (Münster): Religiöse Vielfalt in indischen Regionalkönigreichen (16.-20. Jahrhundert): Hindu-Könige, muslimische Heilige und Jaina-Propheten 07.12.2010, Hubert Seiwert (Leipzig): Religion und Staat im vormodernen China 14.12.2010, Olaf Blaschke (Trier): Konfessionelle Koexistenz und Konflikt in der Kulturkampfzeit 21.12.2010, Angelos Chaniotis (Oxford): Jenseits des Marktes der Religionen. Kultgemeinden als „emotional communities“ im römischen Osten 04.01.2011, Etienne François (Berlin): Miteinander in und trotz der Trennung: Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten (17.-18. Jahrhundert) 11.01.2011, Monika Wohlrab-Sahr (Leipzig): Säkularität und religiöse Vielfalt: Eine Annäherung an Spannungslinien der Gegenwart 18.01.2011, Janbernd Oebbecke (Münster): Der islamische Religionsunterricht und die Integration des Islam in Deutschland 25.01.2011, Navid Kermani (Frankfurt am Main): Deutsche und Muslime. Über Verständigungen und Missverständnisse 01.02.2011, Regina Grundmann (Münster): Die Freundschaft zwischen Mendelssohn und Lessing – ein Vorbild für das Miteinander von Juden und Christen im deutschen Bildungsbürgertum 08.02.2011, Rainer Forst (Frankfurt/Main): Toleranz und Integration. Lehren aus der Vergangenheit für die Gegenwart

Beginn ist jeweils um 18 Uhr Hörsaal F2 im Fürstenberghaus Domplatz 20-22 48143 Münster

Im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster forschen rund 200 WissenschaftlerInnen aus 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen und elf Ländern. Sie untersuchen das komplexe Verhältnis zwischen Religion und Politik von der Antike bis zur Gegenwart und von Lateinamerika über Europa bis in die asiatische und arabische Welt. Es ist der bundesweit größte Forschungsverbund dieser Art und von den deutschlandweit 37 Exzellenzclustern der einzige zum Thema Religionen. Bund und Länder fördern das Vorhaben im Rahmen der Exzellenzinitiative bis 2012 mit 37 Millionen Euro.

Quelle: Viola van Melis
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